22 November 2006

Das Herz des Landes

Es ist 18:30 Uhr. Wir fahren seit gefühlt unzähligen Stunden nun im Zug durch das weite Russland gen Norden. Der Schnee draußen ist keine Seltenheit mehr und bei manchem Halt können wir nach draußen gehen und uns die Beine vertreten oder an einem Kiosk den Biervorrat wieder auffüllen – zumindest diejenigen, die aus dem (zu) warmen Wagon den Gang in die Kälte wagen. Es mögen nur -5 Grad sein, der kalte Wind und das lange sitzen in der Wärme lassen einige jedoch eben jenen Schritt sich die sehr steile Treppe und den halben Meter Sprung von der letzten Stufe auf den Boden scheuen. Nach und nach hat man auch vagen Kontakt zum Zugpersonal, zumindest zu den beiden Wagen-Schaffnerinnen. Die eine erzählte und gerade, dass der Aufenthalt hier nun so lange gedauert hat, weil der Zug eine neue Lokomotive bekommt: Nicht mehr Strom treibt die Zugmaschine an wie bisher sondern eine Dampflok wird die zahlreichen Wagen den restlichen Weg nach Archangelsk ziehen. Unsere russische Schaffnerin war über unsere freudige Reaktion so überrascht, dass sie uns „das Geheimnis der Wagenheizung“ einführte, was dann auch die Erklärung für den schmutzigen Boden in einigen Teilen des Zuges beinhaltete: Ein Kohleofen.
Die Zugfahrt nähert sich dem Ende, was angesichts der Restfahrzeit von mehr als 4 Stunden vielleicht vermessen klingt. Wenn man aber bereits knapp 22 Stunden in selbigem fährt gewöhnt man sich etwas mehr an die Zeit- und Raumvorstellungen der Einheimischen. Es ist sein unwahrscheinlich großes Land von dem wir ja nur im vorderen, westlichen Teil Station machen. Wie groß wird der Wunsch mehr von ihm zu sehen und zu erkunden, merh zu lernen und dann vielleicht auch mehr zu begreifen. Es sei dem Leser geraten eine solche Reise – zumindest einen Teil derselben – in einem Zug zu machen, denn besser wird der Charakter nicht offenbar als wenn man heißen Tee zu trinken, draußen die verschneiten Wälder, selten durchbrochen durch kleine Dörfer, die ein wenig Licht in die Finsternis jenseits der Wagenfenster werfen, betrachtet und sich die Zeit nehmen kann direkt in das Herz des Landes zu sehen.

Man kann Russland nicht erklären, man kann es nicht beschreiben. Man kann es wohl auch nicht verstehen – wenn man es aber betrachtet zeigt es sich in so vielen Facetten und Farben, die dem Betrachtenden verständlich machen, dass er es nie ganz umfassen kann und sich dennoch lohnt den Blick nicht abzuwenden und immer wieder in neue Regionen und Schichten vorzustoßen. Auf der Suche nach dem Herz Russlands…

Labels: , ,

Taiga, Tundra oder die Segnungen des Samowars

Nein, aus Berlin ging es nicht direkt in die russische Wildnis, jene Region, die die wenigsten Deutschen gesehen haben, die aber doch durch die Schlagworte Taiga und Tundra bekannt wurde. Doch fragen sie mal jemand wo der Unterschied ist J

Es ist in der Weile der 22. November. 4 Tage liegen hinter mir seit der Airbus von German Wings mehr oder weniger sanft seine vielen Reifen auf Berliner Beton gestartet hat, seit ich eine Nacht in einem kleinen Hotel in Schönefeld verbracht habe, seit ich die anderen der „Reisegruppe Schuld“ vor dem Terminal D gefunden habe als da wäre: Marcel und Anastasia, sogesehen die Urheber oder zumindest der Hauptgrund der Reise, Marcels Eltern Ilse und Jochem (nein, kein Schreibfehler J), Cellis schöne Schwester Daphne und ihr Freund Sören (der Bär ;-)), Julia „Nato“ und unsere „Raupe“ Oli. (*gg*)

Während ich hier schreibe und dies auf einem kleinen Tisch in einem Schlafwagen – oder besser gesagt Massenschlafwagen – der russischen Eisenbahngesellschaft zieht draußen gleichmäßig und einladend die russische Landschaft vorbei. Es liegt Schnee, was mich besonders freut, hatten wir doch in St. Petersburg vor allem Nieselregen bei leichten Plusgraden. Sicher, es ist nicht viel Schnee und doch verspricht er ein wenig der vielleicdht kindlich-naiven Vorstellung eines fast 32 jährigen zu erfüllen. Wenn auch schon das restliche Russland dies verweigert… ich meine, kann sich jemand vorstellen, dass im Land des Vodkas jeglicher Konsum jenes ebenso himmlischen wie teuflischen Wässerchens streng verboten sein kann ? Ist es aber: hier im Zug. Man will es kaum glauben und doch – es ist ein grober und herber Strich durch die Abendplanung der Gruppe hier im Zug. Zumindest aber brennt der kostenlose Samowar und versorgt die Reisenden mit heißen Wasser, wenn man auch die Teebeutel selbst kaufen musste. Doch ich sollte etwas über St. Petersburg schreiben. Und da dies eigentlich ein eigenes Kapitel werden sollte darf ich jetzt auch eine Überschrift in den Text einfließen lassen:

Ein völlig unerklärliches Selbstbewustsein

Wer das Glück hatte bereits einmal die vom russischen Zaren Peter I anfang des 18ten Jahrhunderts geplanten und erbauten Stadt an der Neva zu sehen wird mir zustimmen: es ist schon fast zuviel. St. Petersburg ist voll von architektonisch faszinierenden Häusern, imposanten Gebäuden, interessanten Statuen, in den Himmel ragenden Säulen, Jugendstil-Brücken und natürlich als Peter dem Großen verkleidete Russen. Von letzteren abgesehen ein Fest für die Sinne beim Spazieren durch die Straßen der Stadt jene Vielfalt zu betrachten. Das Dumme ist nur: Diese Gebäude sind nicht einzeln verteilt und eingebunden in „normale“ Häuser wie man dies aus anderen Großstädten kennt: In St. Petersburg besteht das gesamte Zentrum aus solchen Bauten, so dass man irgendwann einfach innerlich abschaltet und den Nevski Prospekt mit ähnlich umbewegtem Gesicht herunterläuft wie all die Russen, die auf dieser Prachtstraße ein geschäftiges Treiben bis spät in die Nacht veranstalten.

Russland ist ein Land der Gegensätze. Ich fürchte man wird es nie verstehen – ich zumindest habe diesen Versuch längst aufgegeben und doch oder gerade deshalb muss ich gestehen, dass dieses Land in mir etwas berührt was ich bei allen Versuchen und Nachdenken nicht in Worte fassen kann. Vielleicht ist es auch gar nicht das wirkliche Russland was mich so fasziniert sondern die Erik-eigene Mischung aus Eindrücken, Erinnerungen, Erlebnissen, Erfahrungen und meiner aus Büchern und Geschichtsstudium herrührenden Vorstellungen (und Vorurteilen). Vermutlich ist es einfach der subjektive Eindruck der den Ausschlag gibt dieses Land zu lieben oder zu hassen. Ein Dazwischen mag es geben – allein ich kann es mir nicht vorstellen. Und doch – diese Kritik sei gestattet – wenn man sich dieses Land so ansieht, dann fragt man sich manchmal schon etwas, woher dieses Selbstbewusstsein eigentlich kommt, Russland sei eine Supermacht. Es ist aber eben ein Land der Gegensätze: Super reich – Bettel arm. Ein Augestellter, selbst in höherer Position kann es kaum zu dem Status wohlhabend bringen, von Reichtum ganz zu schweigen. Nehme man Nastjas Cousine Lena: Sie arbeitet als Managerin in einem Elektrohandel, verdient ca. 400 Euro im Monat und muss schon für die Wohnung – 1 Zimmer Küche Bad im Plattenbau am Rande von St. Petersburg - 250 Euro im Monat zahlen. Auf die entsetzte Frage warum dies hier so teuer sei kam die lapidare Reaktion: Es ist halt St. Petersburg.

Der geschätzte Leser wird nun alleine gelassen für einen oder zwei Momente. Der 2te Tee aus dem Samowar steht dampfend vor mir und der Hunger meldet sich. Der Zur rollt weiter durch die verschneite und langsam in das sanfte Licht der Morgendämmerung eingetauchte Landschaft. Es ist warm im zug. Der letzte Schläfer der Gruppe reckt den Kopf von der Liege. Guten Morgen im Nirgendwo.

Labels: , ,

17 November 2006

Flugzeug-Blog

Nun kann man im Flieger nicht online gehen, zumindest in diesem Flieger nicht, aber selbst wenn, so kurz vor dem Start muss der Laptop ja ohnehin aus sein. Und auch wenn das nicht so wäre - ich habe ihn (also den Laptop) ja garnicht dabei. Es ist der German Wings Flug Nummer 4U8091 von München nach Berlin Schönefeld, der ersten Station meines Urlaubes. Und es ist dies wirklich seit langem wieder ein Urlaub, und während der Pilot nun die Maschine in Richtung Startposition führt, formt sich in meinem Kopf jenes angenehme Gefühl, dass das nun laut werdende Geräusch des startenden Flugzeuges (immerhin ein Airbus) wirklich und wahrhaftig der Beginn einer Reise ist, deren Sinn und Zweck alleine dazu dient, dass ich nichts mache was ich nicht will. Laptop zu Hause, Sachen gepackt, der Airbus bohrt sich nach oben in den Münchner Nachthimme, die kurz aufflackernden Gefühle während der Startphase - ich habe URLAUB !

Was immer ich vergessen habe, es bleibt zurück. In Berlin werde ich eine Nacht im Flughafenhotel verbringen um morgen um 10:40 Uhr zum zweiten Mal in die Luft zu gehen, auf dem Weg nach St. Petersburg , Russlands Vorzeigestadt, die durch und durch russisch ist und doch ganz anders als das Weite Russland sich darstellt. Es ist eine Stadt die am Reissbrett entworfen wurde und doch lebendig ist, jung dynamisch, ohne den Charme der Geschichte verloren zu haben.

Während unten die Lichter kleiner werden wechselt in mir im ständigen Kampf die Freude auf morgen mit den Sorgen von heute. Auf Wiedersehen München. Ich sollte ein Remis mit mir verhandeln. Doch der Kopf macht eben was er will, und so schwirren Namen von Firmen und Mandanten, angesprochene Bewerber und voridentete Kandidaten zusammen mit Urlaubserinnerungen an meinen ersten Aufenthalt in Petersburg im April 2001 und meinen Gedanken an Nina und Krümel um die Wette. Von Remis keine Spur. Einfach ignorieren !

Ich weiss noch nicht, ob ich es schaffen werde jeden Tag zu schreiben was geschehen ist, also nehmen wir die Route mal in Sicht: Von Berlin geht es morgen also nach St. Petersburg, wo wir - das Brautpaar Marcel und Nastja, Cellis Schwester Daphne und ihr Freund Sören, Julia und Oliver und last - not least - Jochem und Ilse, Cellis Eltern - in einem Appartment einige Tage verbringen werden. Dann, am 21. November wenn ich es richtig im Kopf habe, besteigt die ganze Mischpoke einen Zug, der uns in ca. 26 Stunden nach Archangelsk bringen wird, von wo es nach Jasni weitergeht, einem kleinen Dorf 120 km von Jasni, wo die Hochzeitsfeier stattfinden wird, dem Ziel der Reise. (Es ist nachträglich anzumerken, dass die Zugfahrt von Archangelsk nach Jasni 6 Stunden benötigt...)
Der Gedanke daran, dass ich in wenigen Tagen am weissen Meer stehen werde ist kaum fassbar für mich - ob ich der erste meiner Familie bin der dort hinfährt ? Mein Ururgroßvater, Offizier in der zaristischen Armee bis zu seinem Tod in einem Lazarett im Jahr 1916 mag dort gewesen sein... ich werde es nie erfahren. Aber es macht auch keinen Unterschied. So weit nach Norden bin ich noch nie gekommen - und ob ich es je wieder schaffen werde... wer weiss ? Passend dazu spielt mein mit vielen Van Dusen Hörspielen und etwas Musik beladener MP3 Player das Thema von "Jagd auf roter Oktober"... ich liebe russische Chöre. Ob ich es auf dieser Reise schaffen werde mir endlich eine CD zu kaufen ? (/Anmerkung des Autors: nein, habe ich nicht :-)/ )

Doch ich wollte die Reiseroute beschreiben. Nun, vom Ufer des weissen Meeres geht es also nach Jasni und dann wieder zurück nach St. Petersburg (Zug... gaaaanz lange Zug), wo die Gefährten sich trennen werden. Während es alle zum Flughafen zieht um in ihre Heimat zu fliegen zieht es mich in meine- Estland. Und wenn es auch nur effektiv 2 1/2 Tage sind, für mich ist es jetzt schon der wahre Höhepunkt der Reise. Was ich in Estland alles mache, ob ich es schaffe nach Tartu zu fahren, all das ist noch nicht geplant. Muss es auch nicht, obwohl ich die kleine Liia schon sehr vermisse! 5 Jahre ist sie jetzt alt. Ob sie mich erkennt ? Lange Zeit ist es her, dass ich in Tallinn und Tartu auf dem Boden gelaufen bin, den ich bald nicht nur aus der Ferne Heimat nennen darf, sondern der wirklich mein Zuhause werden könnte...

Was auch immer die kommenden 2 Wochen bringen werden: Ich weiss schon jetzt, dass ich eines nicht vergessen kann: Ninas Worte am Telefon heute nachmittag. Ich weiss nicht ob sie dies hier je lesen wird (ich weiss ja ohnehin nicht wer das hier so liest) aber ich habe verstanden und doch begreife ich es nicht. Ich werde es wohl auch nie begreifen. Vielleicht will ich das auch garnicht, wer weiss?! Ich hoffe aber, dass Du mich verstehen kannst. Du hast jetzt zwei Wochen Zeit nachzudenken - auch wenn ich jetzt schon weiss oder zumindest erahne was am Ende dabei rauskommen wird.
Der Copilot hat gerade mitgeteilt, dass wir uns bereits im Sinkflug befinden. Nach und nach tauchen jetzt am Boden die ersten Lichter auf. Links über der Tragfläche erscheint jetzt ein scheinbar unendliches Meer an gelb-orangenen Lichtern. Millionen von Laternen, erleuchteten Wohnungen, fahrende Autos, alles Geschichten und Menschen die traurig sind oder sich freuen, Menschen mit Sorgen und Lastern, fröhliche, zögerliche, abgebrühte und verletzliche...

Wie dem auch sei, die Lichter in der Kabine gehen aus bis auf einzelne Leselampen. Der Airbus senkt sich mehr oder weniger ruhig gen Flughafen Schönefeld.

Willkommen in Berlin.

Labels: ,